Gefühlsstarke Kinder- eine Mutter berichtet

Wenn wir an hochsensible Kinder denken, haben wir meistens eher zurückhaltende und introvertierte Kinder vor Augen. Das mag auch auf den Großteil der hochsensiblen Kinder zutreffen aber es gibt da auch noch die anderen, die extrovertierten, impulsiven Kinder, die aber ebenso sensibel und feinfühlig sind. Sie fallen oft durch emotionale Ausbrüche, besondere Willensstärke und nicht selten durch aufgedrehtes Verhalten auf nicht selten sind sie auch sehr gesellig. Oft werden diese Kinder eben deswegen nicht als hochsensibel erkannt oder ernst genommen, was sicher auch daran liegt, dass dieses Thema noch nicht so sehr bekannt ist und man auch in der Literatur nur wenig darüber findet.

Ich bin besonders froh, dass sich eine  Mutter bereit erklärt hat, mit mir über ihre Erfahrungen mit ihrem gefühlsstarken Kind zu sprechen.
Maggie ist Mutter einer extrovertierten hochsensiblen Tochter und weiß daher ganz genau, welche Herausforderungen aber auch welche Bereicherungen ein solches Kind mit sich bringen kann. Außerdem kennt sie den Unterschied zu introvertierten hochsensiblen Kindern, denn ihre große Tochter ist eben dies.

Vielen lieben Dank liebe Maggie, dass Du Dir die Zeit genommen hast, die Fragen zu beantworten und somit einen großen Beitrag zur Aufklärung über dieses wichtige Thema leistest.

In der Literatur ist das Thema extrovertiertes hochsensibles Kind bzw. gefühlsstark ja doch auch eher ein Randthema, von daher ist sicherlich allein das Erkennen schon eine Herausforderung. Wann und wie hast Du denn herausgefunden, dass deine Tochter hochsensibel ist?

Ich kann mich nicht genau erinnern, wie ich auf das Thema Hochsensibilität gestoßen bin. Vermutlich durch einen Thread in einer Facebook-Gruppe. Das ist jetzt etwa 2 Jahre her, meine Tochter war grade 3 einhalb oder so. Irgendetwas in dem Thread hat mich animiert, den Begriff zu googlen. Ich las einige Beschreibungen und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. DAS war es also, was meine Tochter so anders machte. Das war es, was alles kompliziert für sie (und für mich) machte!
Sie war von Anfang an anders als meine große Tochter. Ich hatte gedacht, nach dem 1. Kind weiß ich Bescheid, weiß, was das Kind will, wenn es schreit. Tja, Pustekuchen. Stillen klappte gut diesmal, Hunger war nie ein Thema, Weltschmerz hab ich auch gut erkannt, nur ihr spezielles Schlafbedürfnis, das habe ich die ersten Tage komplett falsch interpretiert. Meine Große war ein Nicht-Schläfer, sie weinte viel und litt sehr stark unter dem anfänglichen Weltschmerz (so nenne ich für mich den „Kulturschock, den Babys nach der Ankunft in unserer Welt zu verarbeiten haben), die Kleine weinte auch viel – aber alle Strategien wie rumtragen, stillen, kuscheln brachten ihr keine Linderung. Irgendwann sah ich sie an und sagte zu ihr „wenn du eh schreist, kannst du mich auch im Bett anschreien“. Kaum lagen wir, verstummte sie und schlief ein. Sie wollte schlafen. Im Bett, im Liegen! Da habe ich erkannt, dass sie ganz anders tickt als mein erstes Kind und ich ihre Art der Kommunikation komplett neu deuten muss. Mit der Zeit wurde es einfach für mich. Sie hatte von Anfang an eine sehr deutliche nonverbale Kommunikationsfähigkeit. Sie konnte sich sehr gut ausdrücken und mittteilen. Sie erschien immer sehr wach, sehr interessiert an allem.
Es war eine durchaus angenehme Babyzeit mit ihr. Sie schlief Abends schnell ein, wachte nachts aber fast jede Stunde schreiend auf. Ließ sich dann aber schnell beruhigen und schlief weiter. Da meine große Tochter schon nicht viel geschlafen hatte, war das aber kein Problem für mich. Etappenschlaf ging ganz gut.
Es veränderte sich, als sie 2 wurde. Sie entwickelte „Meinung“ und die auf sie einstürzenden Eindrücke mit der verbundenen Wahlmöglichkeit weckten eine hohe Aggression in ihr. Ich erinnere mich noch gut, wie wir eine Kurzreise nach Berlin unternommen haben, sie sich Nachts weinend im Bett aufsetzte und mir mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Sie hatte geträumt. Ab da folgten tägliche Wutausbrüche einer Art, die sich kaum mit anderen Kindern ihres Alters vergleichen ließen. Sie schrie, sie randalierte, ihr Blick sprach von absolutem Zerstörungswillen, sie spuckte auf den Boden in höchster Wut. Diese „Anfälle“ dauerten oft eine Stunde. Irgendwann in diesen Anfällen tat sie sich beim wüten weh und der Schmerz ließ sie „erwachen“. Sie weinte, lies sich trösten und beruhigen und danach war es, als sei nie etwas gewesen.

Essen fiel ihr immer schwer. Sie mochte nur breiiges, meist nur Haferflocken mit Milch oder Joghurt. Obst mochte sie immer gern. Mit uns zusammen Essen ging selten bis nie. Mahlzeiten waren immer ein schwieriges Thema für sie.

Sie kam in der Zeit auch in die Kita, die Eingewöhnung verlief problemlos, sie machte vom ersten Tag an Mittagsschlaf und fand schnell Freunde. Sie aß sogar das komplette Mittagessen dort. In der Kita „funktionierte“ sie tadellos doch kaum betrat ich den Raum zum Abholen, fing sie an zu schreien und sich zu wehren. Sie ließ sich nicht anziehen, nicht mitnehmen und wenn ich sie dann raustrug, ohne Jacke und Schuhe, wehrte sie sich gegen das Anschnallen, sodass ich nicht nach Hause fahren konnte. Wir haben jeden Tag fast eine Stunde für einen Nachhauseweg von wenigen Minuten gebraucht. Oft habe ich ein schreiendes Kind zu Fuß hinter mir hergezogen bis nach Hause, weil ein Transport im Auto einfach nicht möglich war. Genauso verliefen die Abschiede bei Spielbesuchen. Es war ein täglicher Kampf.
Dann fand ich die Beschreibung der Hochsensibilität und ich verstand, warum sie so war nach einem Kita-Tag, warum sie ihre Socken sofort auszog wenn sich eine Gelegenheit ergab, wieso sie sich gegen Pullover wehrte und Jeans schreiend wieder auszog. Ich verstand endlich das „zu hell“-Geschrei. Ich hatte die Ursache ihrer Wut gefunden. Noch keine Lösung – aber den ursächlichen Grund für das alles.

Was würdest Du sagen, ist der größte Unterschied zu einem introvertierten hochsensiblen Kind?

Meine große Tochter ist eher introvertiert HS. Der augenscheinlichste Unterschied zwischen beiden ist die Körperlichkeit. Meine introvertierte Tochter hat sich erst nach über einem Jahr in der Kita von einer Erzieherin berühren lassen. Sie ist eher reserviert und bindet sich selten bis gar nicht an andere Menschen. Körperkontakt stellt sie eigentlich nur mit ihren Eltern her.

Die Kleine sucht ununterbrochen die Nähe anderer Menschen. Sie schläft quasi auf mir, in der Kita sitzt sie oft und gern auf dem Schoß von ihren Erziehern, sie tobt gern körperlich, macht „Kämpfchen“ und ausführliche Toberunden mit ihrem Vater, sitzt beim Essen immer direkt neben mir oder auf meinem Schoß. Schon am ersten Kitatag ist sie auf dem Arm einer Erzieherin eingeschlafen. Wenn sie jemanden mag, dann hat er einen dicken Platz in ihrem Herzen. Sie bindet sich schnell und leicht, kann aber auch mit Trennungen gut umgehen.

Die Große, introvertierte HS macht ihren Kummer mit sich selbst aus, sie zieht sich zurück, weint eher für sich alleine und redet selten bis gar nicht über ihre Sorgen.
Die Kleine, extrovertierte, lässt die ganze Welt lautstark an ihrem Schmerz teilhaben. Sie kann Ursache und Grund ihres Schmerzes gut analysieren und kommunizieren. Man kann nicht verpassen, wenn es ihr schlecht geht. Sie sucht aktiv Trost in Umarmungen.

Beide leiden unter Lärm, beide sind sehr empfindsam was den eigenen Körper angeht (beide haben oft Bauchweh oder leiden unter leichter Übelkeit). Beide reagieren stark auf Streit.

Wie ist das bei dir? Du hast ja zwei Töchter, beide sind HS auf unterschiedliche Weise. Wie gehen die Kinder untereinander damit um?

Schlimmer noch als die unterschiedlichen Temperamente ist aktuell eine Pre-Pubertät gepaart mit einer Pre-Zahnlückenpubertät. Manchmal sind sie ein Herz und eine Seele und spielen stundenlang miteinander. Manchmal kracht es ordentlich. Die Große legt jedes Wort auf die Goldwaage und ist schnell sauer, die Kleine fühlt sich abgelehnt und nicht geliebt von ihrer Schwester und reagiert aggressiv darauf. Oft komme ich mir vor wie ein Übersetzer, der dem jeweils anderen Kind das Verhalten erklärt und um Nachsicht wirbt.

Sicherlich ist es nicht immer einfach, den Alltag zusammen gut zu meistern-
Wo liegen für dich da die größten Herausforderungen?

Eigentlich sind wir über die Jahre ein gutes Team geworden. Wenns dann mal kracht, ist das Schwierigste, beiden weinenden Kindern gerecht zu werden. Beide sind sauer aufeinander, beide brauchen meinen Trost. Da mein Mann unter der Woche in einer anderen Stadt arbeitet, haben die beiden nur mich. Manchmal zerreißt es mich förmlich, die Entscheidung treffen zu müssen, wer mich jetzt mehr braucht.

Gefühlsstarke Kinder zeichnen sich ja auch besonders durch ihre emotionalen Ausbrüche aus. Hast Du besondere Strategien, wie Du damit umgehst und dein Kind begleiten kannst wenn es akut in einer emotionalen Krise steckt?

Inzwischen sind die Ausbrüche deutlich weniger geworden. In der Hoch-Zeit war das wichtigste, den eigenen Kopf zu schützen, aufzupassen, dass sie sich selbst nicht verletzten kann und abwarten. Ganz wichtig auch: nichts von dem persönlich nehmen, was das Kind in seiner Wut sagt oder tut. Wie oft mir der Tod gewünscht wurde, dass ich ausziehen soll, dass ich eine Scheiss.-Mutter bin und dass mein Kind sich lieber eine andere Mutter suchen will – hätte ich das persönlich genommen, wir wären heute nicht da wo wir sind. Danach habe ich sie immer getröstet und einfach so getan als wäre nichts vorgefallen. Nach Stunden haben wir manchmal geredet und ich habe sie gefragt, ob es etwas gibt womit ich ihr helfen kann wenn sie so wütend ist. Daraufhin haben wir einen Schnuller gekauft, ein Schnuffeltuch ausgesucht und sie hat Milch aus einer Nuckelflasche bekommen. Manchmal, wenn der Wutanfall noch nicht so weit fortgeschritten war, konnte ich sie damit dann „zurückholen“. Nicht immer – aber jedes kleine Mal wo es funktioniert hat, war es gut.

Über die Jahre hab ich ja die größten Macken ausreichend kennengelernt. Ich weiß zB dass meine Kleine weder mit uns am Mittagstisch sitzen geschweige denn auf Anhieb essen kann, was ich koche. Am Mittagstisch ist alles ekelhaft was ich gekocht habe.
Unsere Lösung ist, wir essen zuerst und ich mache einen separaten Teller für sie. Wenn das Essen vorbei ist, setze ich mich mit ihr ins Wohnzimmer und füttere sie, während sie was anderes macht. Meist isst sie dann alles, was ich gekocht habe und es schmeckt ihr auch. Wenn man das weiß, muss man kein Thema mehr draus machen und es ist normal. Ohne Druck klappt es wunderbar.

Genauso stressen sie Termine. Sie kann sich unbändig freuen auf etwas, es kaum erwarten – aber wenn der Moment dann da ist, ist die Aufregung so groß, dass sie nicht mehr teilnehmen kann. Sie schreit dann rum, versteckt sich, will sich nicht anziehen. Inzwischen haben wir so unsere Strategien… ich sage ihr erst ganz kurz vorher, was wir vorhaben. Ich lasse ihr Zeit, darüber nachzudenken, ob sie mitmachen will. Ich benenne ihre Angst und verspreche ihr, dass sie nichts machen muss, was sie nicht will. Manchmal hilft ein Stofftier, ein Schnuffeltuch oder Mamas Halskette als Glücksbringer.

Und bisher hat sie absolut alles gemacht und an allem teilgenommen. Wir haben uns einfach nie von ihrem Ausbruch ins Bockshorn jagen lassen. Die Angst hat noch nie gewonnen.

Gibt es besondere Auslöser für ein Überschäumen des Gefühlsvulkans oder kommen solche Ausbrüche manchmal aus heiterem Himmel? Hast Du das Gefühl, man kann durch geschickte Gestaltung des Alltags einiges abschwächen?

Lange Tage in der Kita, Hunger, müde. Das sind die klassischen Auslöser. Da sie aber in die Kita musste und ich nicht immer hellsehen konnte, ob sie Hunger hatte, kam es manchmal wie aus heiterem Himmel – was es in Wahrheit aber nicht war. Es gab immer Auslöser – nur konnte man die nicht ausschalten.
Ich bin aber eigentlich auch kein Fan davon, einen Alltag zu schaffen, der reizarm und nur fürs Kind ist. Ich erschaffe keine „Kinderwelt“, wir leben das Leben so, wie es ist. Und das ist nun mal so, dass es stressig sein kann, dass man mal Hunger hat und gerade kein Essen da ist und dass man in Situationen gerät, die einen Wutausbruch nach sich ziehen. Dann ist das eben so, wir haben das durchgestanden und weiter gemacht. Diese Dinge lassen sich nicht verhindern.
Aber, und daran glaube ich, je öfter man sie durchlebt, desto mehr von ihrem Schrecken verlieren sie. Ich lasse also lieber eine 3jährige wüten, als alles von ihr fern zu halten – und das Drama dann erst mit 8 durchzustehen, wo ich sie nicht mehr wegtragen oder auf dem Arm trösten kann.

Das Thema Hochsensibilität wird inzwischen doch immer bekannter. Die meisten haben dann aber doch eher die ruhigen und zurückhaltenden Kinder vor Augen. Hast Du oft das Gefühl, dass Du gar nicht richtig ernst genommen wirst bzw. dass man dir gar nicht glaubt, dass Dein Kind hochsensibel ist? Und wie gehst Du damit um?

Ich rede sehr offen über mein Kind. Ich schäme mich nicht dafür, dass sie ist, wie sie ist. Ich erzähle davon, warum und auch „wie“ sie wütend ist. Andere nehmen sie oft gar nicht so wahr. Sie ist bei anderen immer ein sehr nettes, höfliches Kind, macht keinen Unsinn und passt sich den gegebenen Regeln an. Den Ausbruch über ihre Anstrengung, dem zu folgen, bekomme ja immer nur ich ab. In der Abholsituation zeigt sie mir ihre Anspannung und andere Eltern verstehen dann nicht, was los ist -„auf einmal“. Da ich mich mit den Eltern ihrer Freunde auch gut verstehe, erkläre ich dann was da los ist und warum – und bisher hatten wir deshalb keine negativen Reaktionen.

Wie schaffst Du es für dich Kraft für den Alltag und die damit verbundenen Herausforderungen zu tanken? Hast Du Unterstützung oder auch hier besondere Strategien?


Ich genieße meine Kinder. Wir sehen uns am Tag nur morgens und nach 16 Uhr, wenn ich sie abhole. Unsere Zeit miteinander verleben wir friedlich und schön miteinander. Meine Pre-Teenagerin verbringt viel Zeit in ihrem Zimmer mit Musikhören und die Kleine spielt meist in meiner Nähe. Da ich keine „Spiele-Mutter“ bin, können sich beide selbst beschäftigen und lassen mich in Ruhe. Wir reden gern und viel miteinander und verbringen Zeit beieinander. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal „schimpfen“ musste. Ich unterlasse es, Dinge von den Kindern zu verlangen, „damit sie was lernen“ und rede auf Augenhöhe mit ihnen. Ich besitze offenbar eine natürliche Autorität, die von den Kindern anerkannt wird und wir müssen keine Machtkämpfe ausfechten. Oft sind Spiel-Verabredungen zu Gast bei uns. Unser Alltag ist dementsprechend wenig nervenaufreibend.

Hat sich im Laufe der Zeit, also mit höherem Alter, etwas beim Verhalten deines Kindes geändert? Also wird es anders bzw. leichter, wenn man auch an der Verstand des Kindes appellieren kann?

Seit dem die Kleine 5 wurde, hat es sich deutlich verbessert. Die Jahre davor habe ich schon kleine Schritte gesehen. Zum Beispiel warf sie während eines Wutanfalls nur noch mit Dingen, die nicht kaputt gehen können. Ihr Verstand bekam immer mehr Anteil an ihren Wutanfällen und konnte den „Anfall“ in Bahnen lenken, die „akzeptabler“ wurden. Sie hat aufgehört mich zu schlagen. Die Wutanfälle sind deutlich weniger geworden und begrenzen sich inzwischen auf ziemlich saftige Beschimpfungen – aber ich bin guter Dinge, dass auch das weniger werden wird. Wir reden über ihre Wut ob ich ihr helfen kann, die Wut zurück zu drängen. Aber manchmal ist ihr Körper eben wütend und ihr Kopf kann nichts tun (ihre Worte).
Hochsensibilität wird ja meistens vererbt, so ist es für die meisten Eltern Fluch und Segen zugleich, wenn sie selbst feinfühlig sind. Einerseits können sie sich gut in ihr Kind hineinversetzen andererseits ist die nervliche Belastung extrem groß. Kennst Du das aus eigener Erfahrung?
Jein. Die körperliche Feinfühlichkeit haben meine Kinder eindeutig von mir, die Neigung zu Wutausbrüchen von ihrem Vater. Da er das seit der Kindheit abgelegt hat, bin ich auch guter Dinge was unsere Tochter angeht. Ich selbst bin sehr kontrolliert und reflektiert und da mich die Wutausbrüche meines Kindes nicht triggern, kann ich ihr beistehen, ohne selbst wütend zu werden.
Ich war als Kind sehr introvertiert, mache meine Gefühle eher mit mir selbst aus und bin, wie meine Große, nicht sehr körperlich. Da ich aber eine sehr gesellige Ader habe und diese offensichtlich auch an meine Kinder weitergegeben habe, kommen wir gut miteinander klar. Auf eine seltsame Art habe ich mit meinen beiden Kindern, so unterschiedlich sie auch sind, etwas gemeinsam – sodass ich ihre Sprachen verstehe.

Hattest Du im Kindergarten bzw. Schule Probleme mit Erziehern und Lehrern? Wurde dein Kind auch schon mit verschiedenen Diagnosen belegt? Hast Du Tipps für die Kommunikation mit diesen?

Sie kam mit 2 in die Kita und damals habe ich den Erziehern versucht, zu erklären, wie sie ist. Ich sagte: „lasst euch nicht täuschen durch ihre Art. Sie ist sensibel und feinfühlig, nur – und das ist anders als bei anderen Kindern – wenn sie Stress hat, dann greift sie an. Die zieht sich nicht zurück sondern wird laut und wild und aggressiv. Die Ursache ist aber dieselbe wie bei den ruhig weinenden Kindern und sie braucht genau denselben Trost“. Gott sei Dank haben wir eine sehr bedürfnisorientierte Kita und die Erzieher haben sie immer so behandelt, wie es ihrer Art entsprach. Jeder gab ihr Nähe wenn sie sie brauchte und niemand hat sie verurteilt und bestraft, wenn sie überreizt war.

Eine Kinderärztin hat sich bei einer U-Untersuchung bemüßigt gefühlt, meinem Kind eine „auffällige sozio-emotionale Entwicklung“ zu bescheinigen. Da ich einer 5-Minuten Diagnose eher skeptisch gegenüber stehe und sich diese Aussage absolut gar nicht mit meiner Meinung deckte, war ich eigentlich nur sauer. Habe dann noch in der Kita nach deren Eindrücken gefragt und da man mir auch dort eine ganz wunderbare sozio-emotionale Entwicklung beschrieb, habe ich das als Humbug abgetan. Die „Diagnose“ entstand, weil ich meine Tochter für eine Untersuchung festhalten musste und sie nach mir schlug, um sich zu befreien.
Bei der nächsten U schrieb ein anderer Arzt „aufgewecktes Mädchen“ ins U-Heft. Da war ich dann inhaltlich einverstanden.
Wie kommt dein Kind im Kindergarten bzw, Schule klar? Wo liegen dort die größten Herausforderungen? Wie geht dein Kind damit um?
Meine große Tochter ist quasi der Traum jedes Lehrers. Sie ist leise und konzentriert um Unterricht, arbeitet (im Rahmen) mit, ist kameradschaftlich, gerechtigkeitsliebend und lernt freiwillig. Sie macht nie Unsinn und findet schnell Freunde. Sie hat durch ihre Art eine ausgleichende Wirkung auf „wildere“ Schüler und verbreitet eine beruhigende Grundstimmung. Sie ist jetzt in der 5. Klasse, kommt gut zurecht und ist sogar Klassensprecherin geworden. Mit der Schule haben wir insoweit keine Probleme. Sie leidet nur unter der allgemeinen Lautstärke oder wenn sich ihre Freundinnen streiten und sie das Gefühl hat, diesen nicht gerecht werden zu können. Dann kommt sie nach Hause und schläft erstmal. Schlaf ist bei uns die Heilung für viele Sorgen.
Die Kleine ist in der Kita zufrieden (auch wenn sie an sich lieber bei mir sein würde), sie macht mit, hält sich an Regeln, kümmert sich um Kleinere und streitet sich selten. Auch sie leidet unter der Lautstärke und unter ihrem selbstgesetzten Anspruch, alles richtig zu machen. Früher waren nach der Kita Wutausbrüche fest gesetzt, heute, mit fast 6, ist das alles kein Thema mehr. Auch sie macht noch gern einen Mittagsschlaf oder spielt erstmal alleine, um runter zu kommen. Aber an sich kommen beide Kinder gut mit den Institutionen klar.
Manchmal ist es ja auch sinnvoll Hilfe von außen anzunehmen, um dem Kind zu helfen, besser mit den eigenen Emotionen umzugehen, um das  Selbstbewusstsein zu stärken oder das Sozialverhalten zu verbessern. Hast Du schon professionelle Hilfe in Anspruch genommen? Gibt es da etwas, was hilft und was Du empfehlen kannst?
Nein, wir haben nie professionelle Hilfe in Anspruch genommen. Ich habe mich bis auf wenige Ausnahmen der Sache gewachsen gefühlt und da ich immer Fortschritte sehen konnte, hatte ich keinen Bedarf an Hilfe von außen. Wenn ich mal gezweifelt habe, hab ich mir Hilfe in der Literatur gesucht. Das Buch „Aggression“ von Jesper Juul hat mir sehr geholfen, meinen Frieden mit der Aggression meiner Tochter zu machen.

Gibt es noch etwas, was Du anderen Eltern, Erziehern oder auch anderen Lesern  mitgeben möchtest?

Nur den Eltern: Ihr seid nicht Schuld! Ihr habt nichts falsch gemacht. Euer Auftrag ist nicht, die Aggression des Kindes abzustellen, sondern ihm einen Weg zu weisen, die Aggression anzunehmen und sie selbst bändigen zu können. Vielleicht sogar, dass aus der Aggression eine positive Tatkraft entsteht, die die Welt verändern kann.
Es eilt nicht! Ein Kind muss nicht mit 6 fertig sein. Nehmt euch die Zeit, geht kleine Schritte und seht die Fortschritte. Auch die kleinen.

 

Vielen lieben Dank liebe Maggie für deine Offenheit. Es ist so schön, wie liebevoll Du über deine Töchter schreibst und wie ihr euren Alltag zusammen meistert. Dies macht vielen anderen Eltern sicherlich Mut für ihren Weg!

Hier kannst Du auch noch mal mehr zum Thema extrovertiertes hochsensibles Kind lesen.

Austausch und Informationen hierzu und zu vielen weiteren Themen rund um hochsensible Familien findest Du in meiner neuen Facebook-Gruppe: Hochsensibel und löwenstark  und auf meiner Facebook Seite . Ich freu mich schon, dich hier zu begrüßen.

2 Responses

  1. Hallo Maggie,

    vielen lieben Dank für deinen Artikel und die Offenheit!!!
    Ich habe diese Ausführungen unglaublich gerne gelesen, du sprichst mir aus der Seele, so ziemlich das erste mal habe ich mich verstanden gefühlt. Auch möchte ich dir ein großes Kompliment für den Umgang mit den Wutausbrüchen machen!!! Hut ab!

    Meine Tochter 3 1/2 Jahre und ich sind beide hochsensible Scanner (also extrovertierte hochsensible). Leider erfahren wir in unserem Umfeld bei weitem nicht so viel Verständnis wie du schilderst. Selbst in der Familie nicht.
    Somit stehe ich vor der Herausforderung und täglich unter Druck. Die Situation in der Kita könnte wie von dir beschrieben 1 zu 1 meine Tochter sein. Die Wut und Überreizung bekomme ich dann in voller Stärke ab, so dass es kaum möglich ist in der wenigen Zeit etwas schönes zusammen zu unternehmen.
    Auch die Situation sich auf etwas zu freuen und dann wenn es soweit ist einfach loszubocken zu schimpfen und zu wüten kenne ich fast tagtäglich.
    Leider haben wir nicht das „Glück“, dass sie sich selbst beschäftigt (auch mit der Strategie einer Eieruhr), sodass es kaum Möglichkeiten gibt aufzutanken. Aktuell fühlt es sich nach einem Dauerkampf an. Nach Jasper Juul heißt es ja, dass ihre Bedürfnisse nicht aufgetankt werden. Ehrlich gesagt, bin ich aber überfragt wie, denn meine Vorschläge lehnt sie ab und die Zeit und Geduld einer 24-h Bespaßung haben wir auch nicht. Sie hat außerdem so viel Energie, dass wir nicht hinterherkommen.

    Mich würden vor allem deine Strategien, Tipps interessieren wie du mit diesen Situationen umgegangen bist, dabei deine Nerven und Energie auf einem gesunden Level bewahrt hast und die Beziehung zu deiner Tochter gestärkt hast.

    Ganz lieben Dank für deine Anregungen, ich freue mich drauf!

    Liebe Grüße
    Irina

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