Hochsensibilität und frühkindliche Reflexe- wie hängt das zusammen?

Hast Du schon mal etwas von frühkindlichen Reflexen gehört? Das sind Reflexe, die sich schon im Mutterleib bilden und für die Geburt und die ersten Lebensmonaten lebensnotwendig sind. Dann sollten sie jedoch gehemmt werden, geschieht das nicht, hat dies oft fatale Folgen.

Hast Du schon mal etwas von frühkindlichen Reflexen gehört?
Das sind Reflexe, die sich schon im Mutterleib bilden und für die Geburt und die ersten Lebensmonaten lebensnotwendig sind. Dann sollten sie jedoch gehemmt werden, geschieht das nicht, hat dies oft fatale Folgen.

Es gibt einige verschiedene Reflexe wie  z. B. den ATNR (Fechterreflex), den das Baby bei der Geburt braucht, um sich durch den Geburtskanal zu bewegen, den TLR, der bei der Entwicklung des Gleichgewichts, der räumlichen, zeitlichen und visuellen Orientierung und der Körperhaltung hilft und den Moro Reflex, der dem Schutz vor Gefahren dient. Es gibt noch ein paar mehr, und alle sind für das Neugeborene und seine Entwicklung, bzw. zum Schutz und zur Aufrichtung in den Stand von großer Wichtigkeit, jedoch werden sie integriert bzw. gehemmt, sobald das Kind sie nicht mehr braucht. Das geschieht für gewöhnlich in den ersten Lebensmonaten. Allerdings passiert es auch, dass sie bestehen bleiben und dies kann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben körperlich als auch psychisch.

Was hat das ganze nun mit Hochsensibilität zu tun?

Hierbei geht es vor allem um den Moro-Reflex, ein Schutzreflex, der, wenn er nicht gehemmt wird, ganz ähnliche Auswirkungen haben kann, wie die Hochsensibilität allerdings auch mit Nebenerscheinungen, wie extremer Ängstlichkeit, bis hin zu Angststörung und Depression, Schreckhaftigkeit, einer starken Reizwahrnehmung und vielem mehr. Dazu später noch mehr. 

Um dies nachvollziehen zu können, muss man aber erst mal verstehen, was es mit diesem Reflex auf sich hat.

Was genau ist der Moro-Reflex

Er bildet sich in der 9.- 12. Schwangerschaftswoche und soll das Kind vor potentiellen Gefahren schützen.

Du kennst es vielleicht noch von deinem Kind, in den ersten Monaten zuckte das Baby bei plötzlichen lauten Geräuschen, Erschütterung oder grellem Licht mit den ausgestreckten Ärmchen erst nach hinten, holte tief Luft und riss die Augen auf, um sich dann nach vorne zu krümmen, die Arme zu schließen und dann  laut los zu schreien. Dies ist uns von den Affen geblieben, bei denen sich das Affenbaby so an seine Mutter klammerte, um bei Gefahr schnell flüchten zu können. Dies ist ein Mechanismus, der auf Kampf oder Flucht vorbereitet und einige Reaktionen  im Körper auslöst, wie Anstieg des Blutdrucks, Puls und Atmung sowie Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Cortisol was die Sensibilität der Sinneswahrnehmung steigert.

Was passiert, wenn der Moro-Reflex bestehen bleibt?

Das Institute for Neuro- Physiological- Psychology (INPP) in Chester (GB) beschäftigt sich seit den 70er Jahren mit den Zusammenhängen zwischen frühkindlichen Reflexen und der Entwicklung des zentralen Nervensystems. Diese Forschung ist also noch relativ jung und leider noch nicht überall bekannt.

Dabei geht man davon aus, dass die bleibende Reflexe bestimmte Reaktionen auslösen, die sich trotz bestehender Intelligenz nicht willentlich unterdrücken lassen.

Dies hat sowohl Auswirkungen auf die motorische wie sensorische Entwicklung als auch auf die emotionale Befindlichkeit.

Bei einem bestehendem Moro-Reflex ist der Körper nun quasi ständig in Alarmbereitschaft und schüttet ständig Stresshormone aus was Einfluss auf die Sensibilität der Sinne sowie das Reaktionsvermögen hat. 

Mögliche Folgen:

  • Reizüberflutung: die Welt wird als zu laut, zu hell, zu aggressiv empfunden
  • Ideenreichtum: phantasievoll und kreativ
  • Durch ständige Überreizung: Neigung zu Überreaktionen
  • Neue Situationen machen Angst
  • Ständig in Habachtstellung, dadurch schnelles Ermüden und Aggressivität
  • Erhöhte Ablenkbarkeit weil alles um sie herum ungefiltert wahrgenommen wird
  • plötzlicher Heißhunger da der Glucosespiegel nicht konstant gehalten werden kann.
  • können mit Misserfolgen nicht gut umgehen
  • sind schreckhaft und ängstlich vom Gemüt
  • Schlafprobleme: kommt schlecht zur Ruhe
  • können schlecht mit Kritik umgehen
  • Können Unordnung nicht leiden: brauchen Kontrolle ihrer Umgebung
  • Entscheidungen fallen schwer
  • Schwierigkeit mit sozialen Kontakten
  • neigt eher zu emotionalen Rückzug
  • viele Selbstzweifel
  • aber auch aggressiver Typ (ständige Überreizung)
  • Selbstüberschätzung und sehr risikobereit
  • Gleichgewichtsprobleme
  • Immunschwäche und Allergien

Die Kinder leben quasi in ständiger Alarmbereitschaft und die unberechenbare Welt macht ihnen Angst, sie versuchen durch Aggression oder auch ängstlichen Rückzug ihre Umwelt zu manipulieren oder kontrollieren.

Durch die erhöhte Sensibilität, die durch die ständige Aktivierung des sympathischen Nervensystems entsteht, können sie sehr einfühlsam und phantasievoll sein, reagieren aber auf ungewohnte Situationen oder Sinneseindrücke übertrieben und unangemessen.

Dieses Verhalten hat oft Ähnlichkeit zu Hochsensibilität oder aber auch zu ADHS oder ADS. Deswegen sollte im Zweifelsfall immer eine professionelle Diagnostik stattfinden.

Diese werden von Neurophysiologen, Ergotherapeuten oder auch Physiotherapeuten durchgeführt.

Leider ist dieses Thema nicht sehr verbreitet und selbst Ärzte ziehen dies nur selten in ihre Überlegungen mit ein. Deswegen sollte bei einem Verdacht unbedingt der Arzt darauf hingewiesen werden, oder aber direkt bei einem Ergotherapeuten oder Neurophysiologen angefragt werden. Für Ergotherapie kann hierzu ein Rezept vom Kinderarzt ausgestellt werden. Neurophysiologische Behandlungen müssen leider selbst bezahlt werden.

Abgrenzung zur Hochsensibilität

Die Abgrenzung ist oft nicht leicht, denn viele Auswirkungen sind gleich, allerdings gibt es auch Unterschiede, die aber meistens nur von Fachleuten eindeutig erkannt werden können. Deswegen sollte bei einem Verdacht unbedingt professionelle Hilfe hinzu gezogen werden.

bei nicht integriertem Moro-Reflex:
  • Das ängstliche bzw. aggressive Wesen steht oft sehr im Vordergrund
  • Angststörungen bzw. Depressionen sind keine Seltenheit
  • Automatisierung von Gelerntem findet nur schwer statt und Informationen können schlecht gemerkt werden
  • Schwierigkeiten Fakten und Ereignisse in Reihenfolge zu bringen
  • hat Schwierigkeiten mit Raum und Zeit, auch Uhrzeit
  • oft schlechtes Schriftbild
  • Körperkoordination ist nicht gut
  • Teilleistungsschwäche beim Lesen, Schreiben, Rechnen
  • schlechte Aussprache, monotones Sprechen, Sprachprobleme
  • sehr langsame Arbeitsweise

Dies sind jedoch nur Anhaltspunkte und dienen nicht der Diagnostik.

Ich denke, der größte Unterschied besteht auch darin, dass sich mit Hochsensibilität gut leben lässt, wenn gute Bedingungen geschaffen wurden. Bei dem nicht gehemmten Moro Reflex gibt es meistens unangenehme, störende und auch krankhafte Symptome, die dem Kind das Leben schwer machen können und deswegen unbedingt abgeklärt werden sollten.

Wieso wird der Moro-Reflex manchmal nicht richtig integriert?

Manchmal kommt es vor, dass Reflexe nicht richtig gehemmt werden. Dies kann unterschiedliche Ursachen haben. Letztendlich kann das immer, wenn das Körpersystem großem Stress ausgesetzt ist oder bestimmte Bewegungen nicht ausgeführt werden können: 

  • Probleme in der Schwangerschaft (psychischer Stress der Mutter, Krankheit, Bettlägrigkeit…)
  • Schwere Geburt (Kaiserschnitt, Frühgeburt, langer Geburtsverlauf, Interventionen wie Saugglocke, Zange etc.)
  • Schwierigkeiten im ersten Lebensjahr (lange Krankheit, sehr viel Stress, Verletzungen, bestimmte Bewegungsabläufe werden übersprungen, wie z.B. das Krabbeln etc.)

Aber auch die andere Reflexe können zu Problemen führen

Aber nicht nur der Moro-Reflex hat solche Auswirkungen auch die anderen wirken auf die Psyche und die körperliche Entwicklung des Kindes ein.

So wird bei Therapien auch immer nach allen Reflexen geschaut und meistens sind mehrere offen. Eine Behandlung bringt meistens große Erfolge, so dass die Hochsensibilität hinterher nicht mehr als so stark belastend empfunden wird.

Mögliche Anzeichen für nichtintegrierte Reflexe können sein: 

  • Extreme Empfindlichkeit auf: Geräusche, Licht, Berührung
  • Bestimmte Konsistenzen können nicht ertragen werden
  • verkrampfte Stifthaltung
  • Zehenspitzengang
  • Starke Trennungsängste
  • Extreme Ängstlichkeit
  • Schulangst
  • LRS
  • undeutliche Sprache
  • Zungen- Mundbewegung beim Schreiben bzw. Konzentration
  • Unruhe beim Sitzen
  • Stützt häufig den Kopf ab
  • Gleichgewichtsprobleme
  • Übelkeit beim Autofahren
  • schlechter Orientierungssinn
  • b und d wird verwechselt
  • sehr impulsiv
  • Angst vor Veränderungen
  • Probleme beim Lesen und Schreiben
  • schusselig, vergesslich, unorientiert
  • ist nicht gekrabbelt
  • weinerlich
  • hohe Ablenkbarkeit

Wenn Du dein Kind darin wieder findest, könnte eine mögliche Ursache dafür sein, dass bestimmte Reflexe noch nicht integriert sind und dadurch immer wieder Probleme machen. Dann lohnt es sich wirklich, mal genau hinzuschauen.

Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten

Eben diese Bewegungen müssen dann quasi nachgeholt werden, deswegen sind die Behandlungsmethoden auf motorischer Basis. Es gibt verschiedene Konzepte wie das INPP nach Sally Goddard, Bobath, Vojta, DGNE oder auch spielerische motorische Übungen.

Die Diagnostik und Behandlung kann von verschiedenen Therapeuten durchgeführt werden. Dies tun Neurophysiologen, Ergotherapeuten und auch Physiotherapeuten. Wichtig dabei ist, dass die Behandlung auf einer ausführlichen Anamnese beruht. Nach dieser wird das Kind in verschiedenen Bereichen getestet und dann ein individueller Übungsplan erstellt. Bestimmte Übungen kann bzw. sollte das Kind auch zu hause durchführen. In gewissen Abständen werden die Fortschritte überprüft. Eine Behandlung kann 1-1,5 Jahre dauern, danach sollte der Reflex vollständig integriert und somit auch die unangenehmen Symptome verschwunden sein. Erste Ergebnisse kann man aber meistens schon früher beobachten.

Abschließend bleibt zu sagen:

Mit Hochsensibilität lässt sich meistens gut leben, wenn die richtigen Bedingungen geschaffen wurden und man gelernt hat, damit liebevoll und achtsam umzugehen. Wenn das Kind trotz allem im Alltag sehr leidet, sollte man in Erwägung ziehen, ob nicht doch mehr dahinter steckt, wie ein nicht gehemmter Moro Reflex oder auch ein erlebtes Trauma. Denn auch pathologische Phänomene können in manchen Fällen Ähnlichkeiten zur Hochsensibilität haben. Die Unterschiede sind jedoch oft nicht leicht zu erkennen und sollten dann von einem Fachmann abgeklärt werden. Steckt so etwas dahinter, kann dem Kind mit der richtigen Therapie gut geholfen werden.

Austausch und Informationen hierzu und zu vielen weiteren Themen rund um hochsensible Familien findest Du in meiner neuen Telegram-Gruppe 

10 Antworten

  1. Liebe „Löwenmutter“,
    danke für den tollen Artikel! Ich selber bin ein „Moro“-Kind und (hoch)sensibel. In diesem Jahr habe ich beim IPE die Ausbildung zum Kinder- und Jugendcoach gemacht. Im 3. Ausbildungsblock haben wir RIT – Reflex-Integration gelernt. Da wurde bei mir der „Moro“ als noch aktiv ausgetestet. Ich bin sehr glücklich, dass auch noch im Eerwachsenenalter – ich bin 65 J. alt – die Reflexe integriert werden können. Es war soooo wohltuend schon während der Integration zu spüren, wie die Anspannung nachließ. ich habe mich vorher gefühlt wie Ballon kurz vorm Platzen! Mit Vergnügen habe ich zuhause die leichten Übungen gemacht. Nach der RIT-Methode ist die Integration ungefähr nach 1/4 Jahr abgeschlossen. Ich kann es nur empfehlen, die Reflexe prüfen zu lassen. Das Wohlbefinden steigt ungemein sowohl physisch wie psychisch. Auch Menschen, die Probleme mit Legasthenie und Dyskalkulie empfehle ich RIT. Weitere Information gibt es beim Sieber-Paasch Institut.
    Ganz herzliche Grüße von Ulrike Meyer

    1. Moin!
      Ich bin durch Pflegekinder und eigenen Leidensdruck auf dieses Thema gestossen. Gibt es so was wie wie Therapeutenliste, wo ich schauen kann ob hier jemand in der Nähe ist?
      Vielen Dank im voraus.

    2. Danke,frau mmeier,das macht mirmut. Ich bin 66 und. Gehe naechste woche zur intp anamnese. Man sagt,ich habe adhs und bin hochsensibel, aber helfen konnte bisher noch keiner..ich freu mich, vieles vom oben gelesen trifft auf mich zu. Das leben kann nur noch besser werden!!!

  2. Liebe Löwenmutter,
    ich bin auch Reflexintegrationstrainer, habe nach Sieber & Paasch gelernt & habe hin und wieder Kinder, die bei Moro-Integration/passiver Stimulation noch aggressiver werden. Was meinst du dazu, woran das liegt? LG Chichi

    1. Hallo liebe Chichi,
      Mh, könnte es sich hier wohlmöglicher Weise um eine Erstverschlimmerung handeln? manchmal kann das auftreten. Dauerhaft sollte es aber eigentlich besser werden.
      Liebe Grüße

    2. Ich bin selbst RIT Trainerin. Beim Moro sind die Kinder dauerhaft in Alarmbereitschaft was sich bei dem einen Kind in Erstarrung und Rückzug, bei dem anderen in ausgeprägten Wutanfällen und Gewaltbereitschaft zeigen kann. Das ist ganz individuell. Wenn der Moro noch nicht vollständig integriert ist, kann natürlich für den Zeitraum der vierwöchigen Übungen die Problematik weiter bestehen. Die neuronale Reifung braucht Zeit. Vier Wochen tägliches Üben und anschließende 6 Monate neuronale Nachreifung. Dranbleiben lohnt sich. Gleichzeitig empfehle ich immer dem Kind Entspannungsmusik über Kopfhörer während der Übungen anzubieten. Denn entspannt lernt es sich besser 🙂 Bei ausgeprägter Wut können unterdrückte Emotionen vorliegen. Auch da lohnt es sich hin zu schauen und dem Kind dafür einen Raum zu geben.

      1. Supe, dass du auch in dem Bereich arbeitest und dich da spezialisiert hast. Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Sehr wertvoll 🙂

  3. Unsere Tochter fängt bald eine Bobath-Behandlung an, die bei Kindern mit solchen Problemen helfen soll. Daher ist es gut, dass diese hier auch erwähnt wird. Dann haben wir wohl die richtige Entscheidung getroffen.

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